close
Ohne Klimaschutz kein Wohlstand
Ohne Klimaschutz kein Wohlstand

Quelle: Bernd Lammel

Naturschutz

Ohne Klimaschutz kein Wohlstand

Transformationsforschung und Politökonomie sind Prof. Dr. Maja Göpel eine Herzensangelegenheit, ebenso wie der Klimaschutz. In einem Interview bezeichnete sie die Corona-Pandemie im Vergleich zum Klimawandel als „Pillepalle“. In ihrem Buch „Die Welt neu denken“ stellte sie die Frage, ob das „soziale Engagement von Bill Gates die exorbitante Summe seiner Flugmeilen“ pro Jahr aufwiege. Eine Wissenschaftlerin, die was zu sagen hat. Höchste Zeit für uns, ein Interview mit Maja Göpel zu führen und mit ihr darüber zu sprechen, wie wir aus der Paralyse des Status quo ausbrechen können und wie wir Ökosysteme und Ressourcenströme stabilisieren und resiliente Wertschöpfungsketten aufbauen.

? Frau Professor Göpel, Sie werden von den Medien als Transformationsforscherin, Politökonomin oder Zukunftsforscherin bezeichnet. Welche Bezeichnung bevorzugen Sie?

! Transformationsforschung ist das Gebiet, für das ich mich besonders interessiere. Wie finden gesellschaftliche Übergangsprozesse statt, und wie können wir ihnen eine wünschenswerte Richtung geben? Die Bezeichnung Politökonomin ist mir ebenfalls sehr wichtig, weil ich in meiner Forschung zur Conclusio gekommen bin, dass die ökonomische Sichtweise auf die Welt, die sehr dominant geworden ist, eine ganz zentrale Stellschraube ist, mit der wir in Richtung mehr Nachhaltigkeit gelangen könnten. Damit man als Wissenschaftlerin mitreden darf, ist es wichtig zu zeigen, dass frau diesen ökonomischen Hintergrund gelesen, verstanden, ihn studiert und darin promoviert hat. Denn es wird von manchen Menschen gern mit einer gewissen Arroganz behauptet: Die hat vom Ökonomischen nicht wirklich Ahnung. Deshalb benutze ich die Bezeichnung Politökonomin gerne in Kombination mit Transformationsforscherin.

? Muss die Gesellschaft grundsätzlich umdenken, um nachhaltiger zu werden beim Klimaschutz? Man hat zunehmend den Eindruck, alle finden Klimaschutz richtig und wichtig, allerdings mit der Einschränkung: In meinem Bereich bitte nicht.

! Sie haben ein Phänomen benannt, das wir schon länger und gerade jetzt beobachten können. Es ziemt sich nicht mehr, den Klimawandel tatsächlich in Frage zu stellen, denn die Wissenschaft hat mit ganz, ganz langem Atem versucht, auch die Allerletzten zu überzeugen. Wir haben ein Klima-Abkommen, und wir haben ein Bundesverfassungsgericht, das gesagt hat: Wenn ihr das wirklich ernst meint mit dem Klimaschutz, dann müsst ihr jetzt handeln. Und dann kommen die Bedenkenträger, die sagen: Das kann man gar nicht alles umsetzen. In dieser Wer-A-sagt-muss-auch-B-sagen-Situation hängen wir gerade fest. Die Aussagen vieler Menschen – natürlich bin ich für den Klimaschutz, ABER – müssen wir in ein UND drehen, das ist jetzt die große gesellschaftliche Aufgabe.

? Wie kann das gelingen?

! Ich glaube tatsächlich, dass wir das schaffen können, wenn wir uns bewusst machen, was die aktuelle Situation ausmacht und von anderen unterscheidet. Denn wir sprechen ja nicht nur von einer Klimakrise. Wir merken, dass uns die Fragilität der Finanzmärkte in Atem hält. Wir spüren, dass die soziale Spaltung stark zunimmt. Wir erkennen, dass Demokratien unter Druck geraten, weil wir mit dem populistisch aufgeheizten Diskurs nicht mehr vorankommen in der Konsensbildung oder in der demokratischen Abstimmung. Das heißt, die gesellschaftlichen Systeme sind sehr breit unter Stress geraten. Wir haben zwar eine Idee von dem, wie für uns eine wünschenswerte Gesellschaft aussieht, aber wenn wir den Status quo der politischen und wirtschaftlichen Praxis nicht rechtzeitig für seine Konsequenzen hinterfragen und erneuern, sondern als vermeintliche Normalität verteidigen, dann führt das zu einer Situation, in der unsere „Lösungen“ nicht mehr zu den Rahmenbedingungen passen. Dann führen sie uns an den Zielen vorbei. Dann wird es zu umweltbelastend, es entstehen zu starke Ungleichheit und eine Entkopplung der Finanzmärkte, sodass finanzielle Gewinnschöpfung kein verlässlicher Indikator für das Ziel nachhaltiger Wertschöpfung mehr ist und der Wettkampf um kurzfristige Rendite zum Risiko für gesellschaftliche Fortschrittsziele wird. An einem solchen Punkt sind wir jetzt. Die Transformationsforschung benutzt dafür den Begriff der Kipp-Punkte – auch in sozialen Systemen –, oder auch Liminalität oder Zeitenwende: wenn das Bekannte brüchig geworden ist und die Selbstverständlichkeiten nicht mehr tragen.

Um um vom ABER ins UND zu kommen, brauchen wir möglichst viele Mitstreiter für das noch Unbekannte die den Mut haben zu sagen: Wir werden konsequent umstrukturieren und damit eine neue Normalität schaffen. Wir wollen zum Beispiel nicht nur ein bisschen CO2 mindern durch elektrifizierte Infrastrukturen, sondern wir wollen ein neues Industriemodell und gesellschaftliche Infrastrukturen, die den ganzen CO2-Zyklus respektieren und weitere natürliche Wertschöpfungsprozesse dazu. So können wir Ökosysteme und Ressourcenströme stabilisieren, resiliente Wertschöpfungsketten aufbauen, Konflikt- und Migrationsdruck reduzieren und mehr Freiraum für die Zukunft erhalten.

? Das sollte aber ein globaler Anspruch sein.

! Global, natürlich! Denn erst, wenn der CO2-Kreislauf, der in lebendige Ökosysteme eingebaut ist – Stichwort Biodiversität, Stichwort Bodennutzung, Stichwort Ozeanversauerung, Stichwort Flächenversiegelung –, stabilisiert ist, kann sich „die Umwelt“ wieder so verhalten, wie wir es in den letzten 10 000 Jahren gewohnt waren.

? Deutschland hat 2015 das Klimaschutzabkommen von Paris unterzeichnet, aber man hat den Eindruck, dass es politisch gar nicht richtig vorangeht. Hat die Politik zu wenig getan in den vergangenen Jahrzehnten?

! Ja. In der Forschung sprechen wir von der strukturellen Kurzfristigkeit, die wir in die Demokratien eingebaut haben, aber natürlich auch in die unternehmerischen Wertschöpfungszyklen und Wahlperioden. Wenn Sie in den politischen Orbit reinhören und sagen: Wir müssen mit der neuen Regierung ganz viele Programme anschieben, die nicht mehr Symptome bekämpfen, sondern an die Wurzel der Probleme gehen, dann kommt sofort das Argument: Wir haben Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen oder Kommunalwahlen oder sonst irgendwo eine wichtige Wahl. Niemand will der eigenen Klientel etwas abverlangen.  Umbauphasen, in denen wir uns umgewöhnen und einschränken müssen, in dem wir Gewohnheiten ändern müssen, in denen Identitäten und Privilegien verändert werden, werden auch als das Delta von Innovationsprozessen bezeichnet. Das wollen viele politisch Verantwortliche nur ungern angehen, weil sonst ihre Wiederwahl gefährdet sein könnte. Wir brauchen aber genau diese Weitsichtigkeit, und wir brauchen Persönlichkeiten in der Politik, die wissen, dass es ums große Ganze geht, um die lange Sicht, und die bereit sind, Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen, damit sich durch Umstrukturierungen nicht primär Partikularinteressen durchsetzen.

! Sind Sie zuversichtlich, dass das mit dem neuen Klimaschutzminister und mit einer neuen Umweltministerin in der neuen Regierung gelingen kann?

! Ich finde tatsächlich, dass jetzt ein anderer Ton herrscht. In den vergangenen Jahren hieß es immer, der Wohlstand darf nicht gefährdet werden durch den Klimaschutz, obwohl doch jeder wissen konnte, dass es ohne Klimaschutz bald deutlich weniger Wohlstand gibt. Worüber sprechen wir ernsthaft, wenn wir davon reden, die Lebensgrundlagen der Menschen zu sichern? Da bin ich zuversichtlich, dass sich der Diskurs dreht und Ursache und Wirkung in die richtige Reihenfolge bringt.

Ich habe das Gefühl, es wird anders priorisiert und anders erklärt. Wenn wir mittelfristig die Mobilitätssysteme umgebaut, den Gebäudebestand saniert, eine andere Art der Landwirtschaft etabliert haben und mit Tieren und der Umwelt anders umgehen, wird sich das klimaneutrale Leben ganz anders anfühlen. Auch, welche Chancen der Umbau für gute Arbeitsplätze und die Geschäftsmodelle der Zukunft bietet, und für ein sicheres Europa. Es braucht in diesem Übergangsprozess jetzt das, was die Regierung versprochen hat: Aufbruch und Fortschritt. Auch bei anderen Themen wie Rente, Bildung, Arbeit der Zukunft. Das ist unbequem, ja, aber auch befreiend.

? Haben Sie die Hoffnung, dass die Regierung diesen Mut hat?

! Ich bleibe mal bei meinen Kernthemen der Nachhaltigkeit. Eine Regierung oder ein Minister schaffen das natürlich nicht allein, da müssen viele in der Gesellschaft mitziehen. Wenn Sie die Medien verfolgen, sehen Sie nicht nur Naturkatastrophen, sondern bestürzende Bilder brennender Berge von Billigklamotten in den Dörfern in Afrika. Wir sehen riesige Haufen von Elektroschrott in Indien und Südostasien und Plastikmüllberge im Pazifik, und das ist alles ein Teil von dem, was wir in den westlichen Ländern nur kurzfristig oder vielleicht gar nicht nutzen und dann wegwerfen, weil es nur wenige Euro gekostet hat. An diesem Status quo der völlig rücksichtslosen Konsumorientierung festzuhalten, halte ich nicht nur für eine seltsame Auffassung von Fortschritt, sondern das stößt schlicht an zu viele Grenzen.

? Die Frage ist, wie kann man in der Gesellschaft das Bewusstsein schaffen, dass Menschen sagen: Wir ziehen mit und ändern unser Konsumverhalten? Wir leben in einem Land, wo es um Wachstum, Wachstum, Wachstum geht, und es gilt das Motto „Wer nicht wachsen will, muss weichen“. Müssen wir weg vom Wachstumsgedanken?

! Ich würde mich freuen, wenn wir dieses Wort einfach aus dem Diskurs verbannen würden und konkret sagen, was wir wirtschaftlich erreichen wollen. Denn „Wachstum“ muss inzwischen für alles herhalten, von Investitionsvermögen über Arbeitsplätze bis hin zu menschlichen Entfaltungsmöglichkeiten. Deshalb finde ich die Initiative richtig, die jetzt aus dem Wirtschaftsministerium kommt: die gesellschaftliche Entwicklung anders zu messen und zu bewerten, über das Bruttoinlandsprodukt hinaus. Natürlich lässt sich noch über die Auswahl der Indikatoren diskutieren. Aber es ist ein wichtiger Schritt, nun nicht mehr zu sagen, wir haben zwar eine übergeordnete Nachhaltigkeitsstrategie in dieser Republik, aber die hat kaum Relevanz für das Regierungshandeln. Vorher hieß es auch gerne mal: „Wenn wir die Ziele verfehlen, ist das ein Beweis, dass sie zu hochgesteckt waren.“ Dass die Nachhaltigkeitsziele auch den Haushaltsverhandlungen die Richtung weisen sollten, hat übrigens gerade der Präsident des Bundesrechnungshofes angemahnt.

? Menschen, die sich seit Jahren im Klimaschutz engagieren, werden gern als Ökospinner diffamiert und ihre Mahnungen mit der Begründung abgetan, man müsse den Finanzmarkt Deutschland und Arbeitsplätze schützen. Sind solche Argumente aus der Zeit gefallen?

! Komplett. Spätestens, seit Larry Fink, der CEO des weltgrößten Vermögensverwalters BlackRock, vor zwei Jahren die Transparenz über Klimarisiken in den Geschäftsmodellen eingefordert hat, da sie ein Investitionsrisiko seien.

? Immerhin …

! Auch das Weltwirtschaftsforum zeigt ja in den globalen Risikoberichten, dass es vor allem die Umweltthemen sind, die ganz oben stehen. Dort finden Sie auch viele Studien zum Stichwort „Nature Positive“ – also wie die Art des Wirtschaftens die ökologischen Kreisläufe nicht nur respektieren, sondern wieder stärken kann. Das geht weit über unsere Recyclingansätze hinaus, von neuen Materialien und zirkulären Geschäftsmodellen über modulares Design und integrierte Wertschöpfungsnetzwerke hin zu langlebigeren und hochqualitativen Produkten. Ja, die kosten mehr, aber die halten auch länger. Es darf nicht mehr sein, dass die Firmen, die minderwertiger als nötig produzieren, den Standard setzen. Dass die sozialen und ökologischen Kosten auf die Gesellschaft, auf andere Länder etwa im globalen Süden oder auf die Zukunft abgewälzt werden, damit hier und heute der Rubel rollt. Auf 13 bis 19 Prozent des BIP haben Forschern des Ariadne-Projektes letztes Jahr die sozialen und ökologischen Schäden in Deutschland geschätzt, die wir nicht bilanzieren. Es braucht eine Zusammenarbeit von Politik und Wirtschaft, um die Anreizsysteme, Steuern und politischen Instrumente zu korrigieren, die zu solchen Ergebnissen geführt haben.

? Sie haben in einem Interview gesagt: „Wir brauchen beim Konsum die sieben F, mit denen wir Einfluss auf die Nachhaltigkeit haben.“ Können Sie die noch mal erklären.

! Ja, aber bevor ich die sieben F erkläre, möchte ich noch sagen: Die Verantwortung für das Menü, aus dem wir als Einzelne auswählen können, liegt bei der Politik und den Produzenten. Wir sind nur dann frei, wenn auch hier sowas wie ein TÜV gewährleistet ist und die Last des Strukturwandels nicht auf Individuen abgewälzt wird. Dennoch können wir auch als Individien klar Position beziehen, wie es in den sieben F anklingt: Fliegen, Fleisch, Fummel, Finanzen, Funken, Fläche und Flagge zeigen.

  • Fliegen sollten wir wirklich reduzieren und nicht nur kompensieren.
  • Fleischkonsum sollte allein wegen des Tierwohls heruntergefahren werden, und es ist wichtig, welche Lebensmittel wir auswählen.
  • Fummel kann fast jeder mühelos reduzieren. Wir sollten uns fragen: In welcher Frequenz und Qualität kaufen wir Bekleidung und muss die immer neu sein?
  • Finanzen sind wichtig, denn mit ihren Investitionen fördern Banken, Sparpläne und Fonds bestimmte Geschäftsmodelle – und manchmal auch lieber sich selbst.
  • Fläche ist ebenfalls ein wichtiger Faktor – besonders die Wohnfläche. Die zu reduzieren ist allerdings wesentlich aufwändiger umzusetzen.
  • Funken meint den Austausch über die Dringlichkeit, die positiven Ideen, die Umsetzungshürden und gute Tipps. Es ist ein gesellschaftlicher Lernprozess.
  • Flagge zeigen heißt, darauf zu achten, wem wir unsere Stimme geben, denn diese Personen repräsentieren uns.

? Wenn wir beim Thema Nachhaltigkeit und beim Thema Klimaschutz die Verkehrswende sehen, ist einiges in Bewegung. Sogar die Autohersteller haben inzwischen erkannt, dass sich etwas ändern muss. Die Frage ist: Wie kann eine nachhaltige Verkehrswende in Deutschland gelingen?

! Mit Sicherheit nicht, indem wir aus dem Jetzt-Zustand dafür sorgen, dass es auf keinen Fall weniger Autos geben darf, und einfach nur sagen: Statt Diesel gibt es jetzt Elektro, aber wir plädieren weiterhin dafür, dass es genauso viele Straßen und noch mehr Parkplätze gibt, die außerdem größer werden sollen für Elektro-SUVs, die mehr Gewinnmarge garantieren als ein Kleinwagen. Die Zukunftsfrage zielt doch auf die Mobilität insgesamt: Woher kommt das Bedürfnis oder die Notwendigkeit von Fortbewegung und wie gestalten wir mit schlauen räumlichen Konzepten die Städte und Regionen der Zukunft so, dass Menschen verlässlich, individuell, landschaftsschonend und sozial gerecht unterwegs sein können. Viele Menschen pendeln mit dem Auto zur Arbeit, weil es keine Alternativen gibt, andere, weil es bequem ist. Das Infrastrukturproblem ist sehr real und eine zentrale Fortschrittsaufgabe der Politik. Die Bequemlichkeitsfrage sollte meines Erachtens davon getrennt und im Kontext von Gesundheitsthemen diskutiert werden – der eigenen Gesundheit ebenso wie die der Personen, die den Effekten der Bequemlichkeit ausgeliefert sind, etwa den Stadtbewohnern.

? Wenn der Staat die Strukturen nicht schafft oder die Städte und Landkreise die Kosten für Fahrkarten nicht reduzieren, bleibt vielen Menschen keine Wahl, sie müssen ins Auto steigen. Hannover wird jetzt das 365-Euro-Ticket einführen, und es bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Städte nachziehen. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?

! Preise sind natürlich eine ganz signifikante Lenkungswirkung, ebenso attraktive Angebote bei den Fahrverbindungen. Ökonomen plädieren dafür, beides zu machen: das Wünschenswerte einfacher und billiger und das nicht Wünschenswerte teurer und beschwerlicher. Park and Ride für 25 Euro am Tag, wie am Berliner Südkreuz, hilft da nicht weiter.

? So bekommen wir die Menschen nicht dazu, das Auto stehen zu lassen oder es sogar abzuschaffen …

! Interessant ist auch, wie viel Geld immer noch in den Straßenneubau investiert wird und in die Instandhaltung von Straßen und Autobahnen. Würden wir hier mal transparent diskutieren und die Nutzung dieser Infrastruktur ebenfalls kostenpflichtig werden, könnten Mittel anders verteilt und die Fahrpreise im öffentlichen Verkehr günstiger werden.

? Schließen Sie sich der optimistischen Meinung vieler Politiker und einiger Wissenschaftler an, dass wir klimaschonender werden in den nächsten acht Jahren oder bis 2035?

! Ich glaube, die Frage, ob wir es noch schaffen können oder nicht, führt ins Leere und wir enden nur wieder in der Rechthaberei über Prognosen. Die wichtigste Botschaft ist: Je schneller wir rasant weniger CO2 wir ausstoßen, desto besser. Selbst wenn wir 1,5 Grad Temperaturerhöhung verfehlen, sind 1,6, 1,7 oder 2,0 Grad mehr viel, viel besser als immer weiter zu diskutieren und Kipp-Punkte der Eisschilde, des Jet Stream oder der Ozeanversauerung zu erreichen, die dann 4 oder 5 Grad Temperaturanstieg nach sich ziehen können. Jedes Zehntelgrad ist wichtig. Und wenn wir jetzt einfach mal das technologisch und ökonomisch längst Mögliche tun, könnten wir unsere Prognosen ja vielleicht sogar überholen. Wie eingangs gesagt: Mit voller Verve in die neue Welt, und dann kann es auch positive Kipp-Punkte und Trendwenden geben, wo verschiedene innovative Prozesse sich gegenseitig verstärken und sogar schnellere Durchbrüche ermöglichen. Dafür hilft es, sich daran zu erinnern, dass menschliche Innovationsfähigkeit auch weit über neue Technologien hinaus geht. Wir können anders kooperieren und produzieren, wir können anders teilen und reparieren, wir können anders Zeit verbringen und Arbeit anders definieren. Wir können uns mit den großen Fragen beschäftigen: Worum geht es eigentlich bei normativen Zielen wie dem Guten Leben und gesellschaftlichem Fortschritt?

? Wo sehen Sie Deutschland im Jahr 2035 in der Transformation und in der Zukunft?

! Als Wissenschaftlerin sagte ich: Es kommt drauf an! Können wir Strukturen verändern, statt Schuld zu suchen? Schaffen wir es, aus der Paralyse des Status quo auszubrechen und weder Dienst nach Vorschrift noch mein eigenes Portemonnaie über alles andere zu stellen? Aus meiner Sicht sind wir mittendrin in einer Zweiten Aufklärung, und wenn es uns gelingt, den lebendigen Wesen und regenerativen Systemen mehr Wert zuzuschreiben als den toten Dingen und virtuellen Welten, dann werden meine Kinder mit Stolz auf uns zurückschauen.

Maja Göpel ist Politökonomin, Transformationsforscherin und Honorarprofessorin an der Leuphana Universität Lüneburg sowie Mitbegründerin von Scientists4Future. Sie ist außerdem Mitglied des Bioökonomierates der Bundesregierung, des Club of Rome und des World Future Council. Zuletzt erschien ihr Bestseller Unsere Welt neu denken. Eine Einladung (Ullstein).


Betty arbeitet als freie Journalistin und ist Herausgeberin im Verlag Berliner Journalisten. Im Ullstein-Verlag veröffentlichte sie drei Sachbücher zu den Themen Europa, Verbraucherrecht und der Gleichstellung allein erziehender Mütter.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

eins + 17 =