Vorweg: Das hier wird kein Rant. Ich las nur kürzlich diesen Artikel von Steffi von Wolff auf Brigitte.de über ihre Sicht der heutigen Vaterrollen, die nur gespielt seien. Okay, innehalten und noch mal nachdenken: wir Väter spielten nur unsere Rollen. Es gab in meiner Facebook-Filterblase Väter, die morgens ihren Espresso verschütteten, andere abends ihren Primitivo. Ich dagegen schüttelte meinen Kopf, wohl so lange, bis der Wachholder meines Gins wieder blühte. Kurz zusammengefasst, textlich zitiert: “Ich weiß nicht, irgendwie habe ich das Gefühl, dass diese Väter eine Rolle spielen und das noch nicht mal gut. Es wird von ihnen verlangt, so macht es oft den Eindruck.”
Nun, Meinung sollte jeder Mensch haben und vertreten dürfen. Meinungen machen Menschen, sind zu respektieren. Vielleicht hat sie ja recht. Dabei schreit der Konstuktivist in mir: Wahrheit entsteht im Auge des Betrachters. Lese ich Artikel / Glossen / Kommentare wie diesen, sehe ich meinen Sohn an. Ich erlebe die Sekunden, als ich ihn zum ersten Mal sehe; wie ihn die Ärzte in der Kaiserschnitt-OP hochhalten, seine Knopfaugen uns anschauen und er lautstark protestiert. Seine ersten Laute von sich gibt, die mir heute noch in den Ohren hängen (und auf der digitalen Tonspur).
Das war vor 500 Tagen. 500 Tage in denen Paul gefühlt circa 70 Level freigeschalten hat und mich täglich mit neuen Stunts überraschte. 500 Tage, in denen er auf 70 Mio. meiner Nervenzellen herumtrampelte als seien sie ein Trampolin. 500 Tage, in denen ich 4.000 Mal wiederholte: „Nein, wir schmeißen nur Bälle, keine Gläser, Teller, Gabeln, Telefone!“ und „Du stürzt ab, wenn Du Dich zu weit über die Lehne beugst.“ Also ich wünschte, das wäre gespielt. Dann hätte das iPhone meiner Frau jetzt keine Gewitter-App und wir müssten weniger Beulen, Platzwunden und Schrammen verarzten.
Ich behaupte, 98 Prozent meiner Geschlechtsgattung spielt nicht. Denn betrachten wir doch mal den Elefanten vom Rüssel her: In 500 Tagen nach der Geburt können Männer erwachsen werden. Also jenes Erwachsen sein, von dem alle sprechen, wenn man so 14 Jahre alt ist und Kommunion, Jugendweihe oder was auch immer hat. Das, was alle im Teenager-Alter anstreben, weil es doch alles tun und lassen darf, was es will. Das, was ich vor Pauls Geburt hin und wieder suchte. Oder ich mich fragte, ob ich es überhaupt sein wollte, weil dieses Erwachsen sein sehr viel Verantwortung tragen muss. Die mochte ich nicht. Ich wollte Kind bleiben im Inneren; es könne doch das neue Erwachsen sein werden. Mehr Pflichten wurden es dann doch für mich, gewollt oder ungewollt. Und ich wette für die anderen Väter auch. Und das kann einem ernsthaften, kooperativen – und ich werfe noch das Buzzword ‚emanzipierenden’ – Zusammenleben in Familie und Gesellschaft nur zuträglich sein, oder?
Frau von Wolff schreibt weiter: „Sonntags sieht man ja gern mal zwei Pärchen mit ihren Kindern herumspazieren. Meistens schieben die Väter die Kinderwagen und gehen nebeneinander und die Frauen mit etwas Abstand hinter ihnen her, und dann beobachten sie stolz ihre Männer, die sich angeregt über Stuhlbeschaffenheit und Zufüttern unterhalten, als würde es um den Weltfrieden gehen. Irgendwie, so finde ich, passt das nicht, wenn Väter sich so verhalten. Es wirkt gekünstelt, geschauspielert.“
Ich denke, es ist wichtig, sich unterschiedliche Perspektiven anzusehen. Ihre mag ich ja nicht. Also nicht so sehr. Sicherlich geht es in Vätergesprächen auch mal um Stuhlgänge. Dieser bewegt ja tatsächlich sehr häufig die Tagesabläufe und führt nicht weniger häufig auch zu krisenreichen Szenen. Sowohl bei Eltern als auch bei den Kindern. Ihr kennt das. Und doch möchte ich der Autorinneneinseitigkeit meine zweite Seite hinzufügen: In Wirklichkeit unterhalten wir Väter uns dabei oft über Krawatten, Wutanfälle, Aktienzu- und -verkäufe sowie nicht weniger häufig über den Sinn des Lebens inklusive Fasten, die Dummheit von Führungskräften ohne Kinder und krasse At the Drive In Konzerte. So.
Wieso sieht es immer (oder meistens) so aus, als würden wir Väter uns nur über Kindergedöns unterhalten und hätten unsere Interessen im Kreißsaal gegen ein Baby eingetauscht? Wieso wird daran gezweifelt, wir könnten viele unterschiedliche Seiten (Vater sein und Mann sein) miteinander vereinen, ohne dabei wie Weichgkloppte aka Weicheier aufzutreten?
Ich wurde nur erwachsen. Mehr nicht. Bitte schön, meine 20 Cent.
(Disclaimer: Auch zwei nur punktuell einfließende Textzitate aus dem Artikel reißen den Artikel nicht aus dem Kontext. Davon darf sich jede Leserin selbst gerne überzeugen.)
Ich wurde erwachsen. Mehr nicht.
Vorweg: Das hier wird kein Rant. Ich las nur kürzlich diesen Artikel von Steffi von Wolff auf Brigitte.de über ihre Sicht der heutigen Vaterrollen, die nur gespielt seien. Okay, innehalten und noch mal nachdenken: wir Väter spielten nur unsere Rollen. Es gab in meiner Facebook-Filterblase Väter, die morgens ihren Espresso verschütteten, andere abends ihren Primitivo. Ich dagegen schüttelte meinen Kopf, wohl so lange, bis der Wachholder meines Gins wieder blühte. Kurz zusammengefasst, textlich zitiert: “Ich weiß nicht, irgendwie habe ich das Gefühl, dass diese Väter eine Rolle spielen und das noch nicht mal gut. Es wird von ihnen verlangt, so macht es oft den Eindruck.”
Nun, Meinung sollte jeder Mensch haben und vertreten dürfen. Meinungen machen Menschen, sind zu respektieren. Vielleicht hat sie ja recht. Dabei schreit der Konstuktivist in mir: Wahrheit entsteht im Auge des Betrachters. Lese ich Artikel / Glossen / Kommentare wie diesen, sehe ich meinen Sohn an. Ich erlebe die Sekunden, als ich ihn zum ersten Mal sehe; wie ihn die Ärzte in der Kaiserschnitt-OP hochhalten, seine Knopfaugen uns anschauen und er lautstark protestiert. Seine ersten Laute von sich gibt, die mir heute noch in den Ohren hängen (und auf der digitalen Tonspur).
Das war vor 500 Tagen. 500 Tage in denen Paul gefühlt circa 70 Level freigeschalten hat und mich täglich mit neuen Stunts überraschte. 500 Tage, in denen er auf 70 Mio. meiner Nervenzellen herumtrampelte als seien sie ein Trampolin. 500 Tage, in denen ich 4.000 Mal wiederholte: „Nein, wir schmeißen nur Bälle, keine Gläser, Teller, Gabeln, Telefone!“ und „Du stürzt ab, wenn Du Dich zu weit über die Lehne beugst.“ Also ich wünschte, das wäre gespielt. Dann hätte das iPhone meiner Frau jetzt keine Gewitter-App und wir müssten weniger Beulen, Platzwunden und Schrammen verarzten.
Ich behaupte, 98 Prozent meiner Geschlechtsgattung spielt nicht. Denn betrachten wir doch mal den Elefanten vom Rüssel her: In 500 Tagen nach der Geburt können Männer erwachsen werden. Also jenes Erwachsen sein, von dem alle sprechen, wenn man so 14 Jahre alt ist und Kommunion, Jugendweihe oder was auch immer hat. Das, was alle im Teenager-Alter anstreben, weil es doch alles tun und lassen darf, was es will. Das, was ich vor Pauls Geburt hin und wieder suchte. Oder ich mich fragte, ob ich es überhaupt sein wollte, weil dieses Erwachsen sein sehr viel Verantwortung tragen muss. Die mochte ich nicht. Ich wollte Kind bleiben im Inneren; es könne doch das neue Erwachsen sein werden. Mehr Pflichten wurden es dann doch für mich, gewollt oder ungewollt. Und ich wette für die anderen Väter auch. Und das kann einem ernsthaften, kooperativen – und ich werfe noch das Buzzword ‚emanzipierenden’ – Zusammenleben in Familie und Gesellschaft nur zuträglich sein, oder?
Frau von Wolff schreibt weiter: „Sonntags sieht man ja gern mal zwei Pärchen mit ihren Kindern herumspazieren. Meistens schieben die Väter die Kinderwagen und gehen nebeneinander und die Frauen mit etwas Abstand hinter ihnen her, und dann beobachten sie stolz ihre Männer, die sich angeregt über Stuhlbeschaffenheit und Zufüttern unterhalten, als würde es um den Weltfrieden gehen. Irgendwie, so finde ich, passt das nicht, wenn Väter sich so verhalten. Es wirkt gekünstelt, geschauspielert.“
Ich denke, es ist wichtig, sich unterschiedliche Perspektiven anzusehen. Ihre mag ich ja nicht. Also nicht so sehr. Sicherlich geht es in Vätergesprächen auch mal um Stuhlgänge. Dieser bewegt ja tatsächlich sehr häufig die Tagesabläufe und führt nicht weniger häufig auch zu krisenreichen Szenen. Sowohl bei Eltern als auch bei den Kindern. Ihr kennt das. Und doch möchte ich der Autorinneneinseitigkeit meine zweite Seite hinzufügen: In Wirklichkeit unterhalten wir Väter uns dabei oft über Krawatten, Wutanfälle, Aktienzu- und -verkäufe sowie nicht weniger häufig über den Sinn des Lebens inklusive Fasten, die Dummheit von Führungskräften ohne Kinder und krasse At the Drive In Konzerte. So.
Wieso sieht es immer (oder meistens) so aus, als würden wir Väter uns nur über Kindergedöns unterhalten und hätten unsere Interessen im Kreißsaal gegen ein Baby eingetauscht? Wieso wird daran gezweifelt, wir könnten viele unterschiedliche Seiten (Vater sein und Mann sein) miteinander vereinen, ohne dabei wie Weichgkloppte aka Weicheier aufzutreten?
Ich wurde nur erwachsen. Mehr nicht. Bitte schön, meine 20 Cent.
(Disclaimer: Auch zwei nur punktuell einfließende Textzitate aus dem Artikel reißen den Artikel nicht aus dem Kontext. Davon darf sich jede Leserin selbst gerne überzeugen.)
Sieglinde
Ich bedanke mich von Herzen für Ihren Kommentar oder wie man das auch immer nennt. Danke Danke Danke
26 Juli